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Keiner oder alle – Das schwarze Amerika am Ende der Ära Obama

„Das hier ist Krieg, Mann, das hier ist Krieg.“

Oakland, Kalifornien, ein klarer, sonniger Tag im September 2016. Es sind noch acht Wochen bis zur amerikanischen Präsidentenwahl. Ich reise durch das Land – finanziert durch einen Holbrooke-Grant der Internationalen Journalisten-Programme e.V., – um politisch engagierte schwarze Amerikaner zu treffen und herauszufinden, was sie am Ende der Ära Obama bewegt– und was sich in den letzten acht Jahren für sie verändert hat.

In einem Flughafenhotel in Oakland, Kalifornien, kommen an diesem Septemberfreitag hunderte Ex-Gefängnisinsassen zusammen, um den vielen einzelnen Initiativen gegen den amerikanischen Gefängnisstaat ein nationales Gesicht zu geben. Gut zwei Drittel sind schwarz. Es geht um Wiedereingliederungshilfen, Rehabilitation, die Legalisierung von Marihuana. Am frühen Nachmittag versammelt sich eine kleine Gruppe Aktivisten draußen auf dem Rasen zu spontanem Protest vor einer Fernsehkamera. Eine Frau mit blondiertem Afro fordert zur Rebellion gegen „das System“ auf. Ein drahtiger junger Kerl mit Palästinensertuch spricht von einem „Genozid“ an den Schwarzen. Ein zwei-Meter-Mann brüllt: „There is no hope!“ Sein Bariton kippt.

Oakland, derselbe Tag, einige Stunden später. Auf der 10th Street nahe dem Oakland Museum of California schieben jung Paare Buggys an Food-Trucks vorbei und reichen ihren Kinder Quesadilla-Häppchen. Im Vorhof des Museums spielt eine Samba-Band. Die Stimmung ist ausgelassen. Weiße Frauen tanzen mit schwarzen Männern, schwarze Frauen mit weißen Männern, Hispanics wirbeln blonde Kinder durch die Luft, eine schwarze Transgender-Frau bewegt sich elegant auf goldenen High-Heels durch die Menge.

Zwei Bilder, ein Land. Es ist das typische Gefühl der Obama-Ära: Eine Mischung aus Verzweiflung und der Euphorie der Möglichkeit.

Es ist alles noch da, auch nach acht Jahren Obama: Noch immer schickt Amerika schwarze Amerikaner überproportional häufig ins Gefängnis. Noch immer erschwert der Rassismus den Alltag schwarzer Amerikaner. Noch immer gehen landesweit Millionen schwarze Kinder auf unterfinanzierte Schulen. Noch immer sind schwarze Amerikaner überproportional häufig Opfer von Polizeigewalt. Noch immer versuchen republikanisch regierte Staaten, Schwarze und andere Minderheiten mit Tricksereien von den Wahlurnen fernzuhalten.

Und dennoch. Am Ende der Ära Obama ist unter schwarzen Aktivisten überall im Land Aufbruchstimmung zu spüren.

Die Konferenz von Ex-Gefangenen in Oakland wird immer wieder unterbrochen von spontanen Sprechchören. „All of us, or none – Keiner oder alle.“ Es ist eine Zeile aus einem Brecht-Gedicht. Brecht fragte 1934:

Sklave, wer wird dich befreien. Sklaven werden dich befreien. Keiner oder alle. Alles oder nichts.“

Aber wer sind diese „alle“ im Kampf für die Emanzipation schwarzer Amerikaner am Anfang des 21. Jahrhunderts? Gibt es das heute tatsächlich, dieses „alle“? Gibt es eine neue Bürgerrechtsbewegung, die sich als Einheit versteht, als Brecht’sche Revolution? Sieben Menschen in diesem „alle“ habe ich getroffen. Jeder steht mit seiner Biographie und seiner Arbeit für eines der großen Themen, die die Community bewegen.

Sie können dieses Reisedossier ganz lesen – dazu einfach hier anfangen und am Ende jeder Seite zum nächsten Kapitel weiterblättern. Jede Begegnung ist aber auch eine Geschichte in sich – Sie können Menschen und Themen, die Sie besonders interessieren, einzeln über die Navigation links auswählen.

Der Comedian W. Kamau Bell berichtet aus seinen Alltag als zwei Meter großer Schwarzer, der eine weiße Frau geheiratet hat. Patrisse Cullors erzählt, wie ihr Bruder im Gefängnis misshandelt wurde, und wie sie vor dem Fernseher „Black Lives Matter“ mitgegründet hat. Die Ikone der 60er-Jahre-Bürgerrechtsbewegung John Lewis diskutiert mit jungen Aktivisten – und versucht, Generationenkonflikte zu kitten. Ashley Bell, Trumps Stratege für die scharzen Wähler, passen diese Generationenkonflikte eigentlich ganz gut ins Konzept. Die Anwältin Sherrilyn Ifill kämpft gegen den Staat Texas. Der Schriftsteller D. Watkins erzählt, wie er es von Baltimores Eastside zum College geschafft hat und schickt mich auf einen Spaziergang mit unerwarteten Begegnungen durch sein Viertel. Und Norris Henderson und Joe erzählen vom Leben in Amerikas Gefängnissen – und Erfolgen im Kampf für die Rechte von Gefangenen.

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Beitragsbild: Alba Vigaray/dpa