Kurz vor den Wahlen ist Sherrilyn Ifill eine der beschäftigsten Frauen des Landes. Sie kämpft dafür, möglichst viele Menschen an die Wahlurnen zu bekommen.
Die Jura-Professorin ist Präsidentin des NAACP Legal Defense and Educational Funds (LDF), einer der ältesten amerikanischen Bürgerrechtsorganisationen. Manche Fälle vertritt Sherrilyn Ifill auch als Präsidentin noch selbst vor Gericht. Ihr jüngster Gegner: Der Staat Texas.
Während meiner Reise haben wir viel hin- und hergemailt. Unseren ersten Interviewtermin in New York musste sie absagen. Um drei Uhr nachts schrieb sie: „Muss dringend nach Washington. Tut mir leid.“ Später treffe ich sie zufällig kurz am Rande einer Preisverleihung – sie hält eine Laudatio auf John Lewis. Wir vereinbaren, zu telefonieren. Während des Telefonats kann ich hören, wie sie sich ein To-go-Lunch kauft und stelle mir vor, wie sie durch Washington hastet: eine gut gelaunte, energische Frau in einem schicken Kostüm, das Handy in der einen und irgendein furchtbar gesundes Wrap in der anderen Hand.
1965 rangen Martin Luther King und seine Mitstreiter Lyndon B. Johnson den „Voting Rights Act“ ab – der wohl größte Erfolg der Bewegung. Das Wahlgesetz verbot Regelungen, die Minderheiten und Arme daran hindern sollten, ihr Wahlrecht auszuüben, zum Beispiel Lese- und Schreibtests, wie sie in den Südstaaten üblich waren. Das Gesetz bestimmte außerdem, dass Staaten, die solche Regeln in der Vergangenheit intensiv genutzt hatten, jede Änderung ihrer Wahlgesetze in Zukunft einer Bundesinstanz zur Bewilligung vorlegen mussten.
Mit dieser Vorab-Bewilligung, durch die tatsächlich viele strittige Wahlrechtsänderungen verhindert wurden, ist es seit 2013 vorbei. Das amerikanische Verfassungsgericht kippte die Formel, mit der festgestellt wird, welche Staaten besonders kontrolliert werden.
„Der Voting Rights Act ist durch das Verfassungsgerichtsurteil von 2013 schwer verwundet worden“, sagt Sherrilyn Ifill.
Republikanische Staaten wie Texas begannen sofort, die Lücke zu nutzen. Die Wahl am 8. November 2016 ist die erste nationale Wahl ohne den vollen Schutz des „Voting Rights Acts“.
Es gibt viele Tricks, um Wähler der unteren Einkommensschichten und damit viele Amerikaner, die Minderheiten angehören, von den Wahlurnen fernzuhalten oder ihren Stimmen das Gewicht zu nehmen, erklärt mir Sherrilyn Ifill am Telefon. Der Neuzuschnitt von Wahlkreisen ist eine Methode, eine andere die Abschaffung oder Verkürzung von Vorwahlperioden – für Menschen, die am Wahltag selbst keine Zeit haben, an Wahlbüros Schlange zu stehen. Im Wahljahr 2016 sind vor allem Ausweispflichten ein Thema.
In Amerika ist ein Lichtbildausweis keine Pflicht. Viele Menschen, gerade aus den unteren Einkommensschichten, besitzen weder einen Pass noch einen Führerschein. Texas versuchte dennoch schon 2011 durchzusetzen, dass nur noch mit einem Lichtbildausweis gewählt werden kann. Die Clearing-Stelle, die die Änderung prüfte, verbot Texas die Einführung der Regelung, doch kaum hatte das Verfassungsgericht den „Voting Rights Act“ in Teilen außer Kraft gesetzt, erließ Texas sein ID-Gesetz erneut.
Sherrilyn Ifill und der LDF klagten und haben den Prozess gegen Texas gewonnen. Doch Texas gab nicht auf. Es veröffentlichte missverständliche Informationstexte auf Flyern und Webseiten, die nahelegten, dass es praktisch immer noch unmöglich sei, ohne ID zu wählen. Deshalb musste Ifill im September plötzlich so eilig nach Washington. Der LDF machte die Presse auf den Fall aufmerksam und erhöhte den politischen Druck – bis Texas schließlich einlenkte und seine Wahlinformationen anpasste.
„Seit dem Verfassungsgerichtsurteil spielen wir Katz und Maus mit diesen Staaten“, sagt Sherrilyn Ifill. „Wir müssen unbedingt zurück zur Praxis der Vorab-Freigabe von Wahlgesetzen.“ Die Wahl am 8. November könnte den Weg zur Reparatur des „Voting Rights Acts“ freimachen: Wenn die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückgewinnen, das bisher jeden Reformvorschlag blockiert hat.
„Sklave, wer wird dich befreien“, fragte Brecht in seinem Gedicht „Keiner oder alle“. Ehemalige schwarze Strafgefangene und politische Aktivisten skandierten die Titelzeile des Gedichts als ich in Oakland war. Die Antwort von Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre auf Brechts Frage war: Die Sklaven selbst, und zwar ohne die Brecht’schen Gewehre, sondern indem sie Männer und Frauen aus ihren Reihen an die Macht wählen. Tatsächlich stieg sowohl die Zahl registrierter afroamerikanischer Wähler als auch Repräsentanten in den Jahren nach 1965 sprunghaft an.
Sherrilyn Ifill sieht ihre Aufgabe darin, dieses Erbe zu verteidigen. Sie sagt, sie wollte schon immer Bürgerrechtsanwältin werden. Als Kind hatte sie Thurgood Marshall, den ersten schwarzen Verfassungsrichter der USA, im Fernsehen gesehen. Und obwohl niemand in ihrem Umfeld Anwalt war, habe ihre Entscheidung seither festgestanden, sagt sie. „Die Bewegung stellt sich gerade neu auf“, sagt sie, „heute gibt es außer dem Recht viele andere Wege, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Aber das Recht ist immer noch ein guter Weg.“
Beitragsbild: Matt McClain for The Washington Post/Courtesy of LDF