Auf dem „Hügel“, in Washingtons Regierungsviertel, sind immer alle sehr damit beschäftigt, beschäftigt auszusehen. Besonders jetzt, im September, kurz nach dem Ende der politischen Sommerpause und kurz vor der Wahl. An einem Donnerstagmorgen reihe ich mich ein in den morgendlichen Zug der Politarbeiter von der Union Station bergan. Ich bin auf dem Weg in die Parteizentrale der Republikaner, einem unscheinbaren weißen Haus in der First Street, um Ashley Bell zu treffen – Trumps Strategen für die schwarzen Wähler.
Für die Sicherheitsleute am Eingang ist Ashley Bell Ende September noch „der neue Ashley“. Bis vor kurzem war er noch Anwalt und Lokalpolitiker in Atlanta. Jetzt ist er „Senior Strategist and National Director for African American Engagement“, angesiedelt beim Nationalkomitee der Republikanischen Partei.
Ich bin etwas zu früh dran. Während ich warte, lese ich eine Geschichte in „Politico“ über einen Trump-Auftritt am Vortag. In Cleveland, Ohio, hat sich Trump mit afro-amerikanischen Pfarrern getroffen. Erst vor wenigen Wochen hatte das Nationalkomitee der Republikanischen Partei verkündet, stärker um schwarze Wähler kämpfen zu wollen. Doch das Werben um die schwarzen Wähler bestand darin, dass Trump die „Stop and Frisk“-Politik lobte, eine Polizeistrategie, bei der Menschen spontan angehalten und durchsucht („frisked“) werden dürfen. Gerade die schwarze Community lehnt diese Politik mehrheitlich ab – denn dort, wo sie Praxis ist, werden schwarze Amerikaner überproportional häufig angehalten und durchsucht.
Ashley Bell, sage ich mir, hat wahrscheinlich einen der undankbarsten Jobs des Landes.
Man sieht es ihm nicht an. Durch die Tür kommt ein athletischer Mittdreißiger mit feinem, dandyhaften Schnurrbart. Er trägt eine hellen Sommeranzug und eine Aura strahlender Selbstsicherheit. Er führt mich in die Kommunikationszentrale der Partei, ein fensterloses Großraumbüro, die einzige Dekoration sind ein paar Trump-und-Pence-Wahlplakate, und von dort in einen Konferenzraum, an der Wand politische Karten der USA, rot und blau gemustert.
Also Ashley, wie hoffnungslos genau ist Ihr Job? Gar nicht, sagt Bell – und am Ende unseres Gesprächs sehe ich, was er meint.
Er beginnt seine Argumentationskette mit Verweisen auf Umfragen, die angeblich zeigen, dass Trump unter schwarzen Amerikanern bis zu 20 Prozent gewinnt. Es handelt sich dabei vor allem um eine Umfrage der LA Times von August, die viele Schlagzeilen machte, von Experten aber einvernehmlich als Ausreißer abgetan wurde. Im Schnitt kommt Trump in den Umfragen nur auf Zustimmungswerte im niedrigen einstelligen Bereich. Als ich das einwende, sagt Bell: „Manche nennen es Ausreißer, manche einen Trend.“ Was Bell aber tatsächlich nutzen kann, ist die starke Ablehnung jüngerer afro-amerikanischer Wähler gegen Hillary Clinton. „Darin liegt eine Chance“, sagt Bell.
Dass schwarze Wähler überwiegend demokratisch wählen, schien seit den 60er Jahren abgemacht. Damals stellten sich die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson an die Seite der Bürgerbewegung. Das kostete die Demokraten den Süden, den bis dahin die konservativen Süd-Demokraten, die „Dixiekraten“ beherrschten. Aber es brachte der Partei dauerhaft die Stimmen der Schwarzen. Für Barack Obama stimmten über 90 Prozent der Afro-Amerikaner.
„The Democrats bring up Klans-men and dig up 60-year-old mantras of race-hatred to traumatize black people to get votes. And then they don’t deliver for them once they actually get in power.“
Bell wirft den Demokraten vor, bis heute „mit dem schwarzen Trauma der Segregation und des Rassenhasses auf Stimmenfang“ zu gehen, glaubt aber, dass das nicht mehr lange verfangen wird – und darin ist etwas Wahres. Junge Afroamerikaner wie die Black Lives Matter-Mitgründerin Patrisse Cullors werden nie republikanisch wählen (hier das Porträt von Cullors lesen). Aber sie sind ausreichend entfremdet sowohl von den alten Bürgerrechtlern als auch von der Demokratischen Partei, dass sie Drittkandidaten wählen oder zu Hause bleiben.
Bells Job ist es also weniger, die Schwarzen dazu zu bringen, Trump toll zu finden, als vielmehr, sie dazu zu bringen, Hillary Clinton zu hassen. Und sie davon zu überzeugen, dass sie es sich leisten können, am Wahltag zu Hause zu bleiben.
Anfang November, nur eine Woche vor der Wahl, scheinen ihm manche Zahlen recht zu geben. Ein Fünftel der amerikanischen Wähler haben ihre Stimme da bereits per Vorwahl abgeben – und scharze Amerikaner sind ausgerechnet in einigen der Swing-States, zum Beispiel in North Carolina, deutlich seltener wählen gegangen als 2012.
Ich frage mich trotzdem, warum Ashley Bell diesen Job überhaupt macht. Bell sagt, er wolle in Washington nicht bleiben. Er vermisse die Berge von Georgia und natürlich seine Frau und seine beiden Kinder, die in Hall County, Georgia, geblieben sind, etwa eine Autostunde von Atlanta. „Ich vermisse das wahre Leben. Washington ist nicht das wahre Leben“, sagt er.
Früher war er selber einmal Demokrat. Er war Stadtrat in Hall County. Er gründete die „2020 Leaders“, ein nationales Netzwerk von Lokalpolitikern, Bürgermeistern, Anwälten und Polizeipräsidenten mit dem Ziel, die Situation schwarzer Communities in den Städten zu verbessern. 2010 wechselte er die Partei und wurde Republikaner. In den Vorwahlen unterstützte er erst Rand Paul, dann Marco Rubio. Und dann fuhr er auf dem Trump-Ticket zum republikanischen Nominierungsparteitag.
Als ich ihn frage, warum er die Partei gewechselt hat, sagt er, es war Obamas Gesundheitsreform, die „das Fass zum Überlaufen gebracht hat“. „Mir ist – wie vielen Afroamerikanern – Freiheit sehr wichtig. Die Gesundheitsreform war ein massiver staatlicher Übergriff. Ich habe beschlossen, dass ich eine Partei brauche, die meine individuelle Freiheit respektiert.“
Gut möglich, dass er das wirklich so empfindet. Bell kommt aus einem ziemlich einzigartigen Mikrokosmos. Atlanta, die Stadt, in der er als Anwalt viele Klienten hat, ist eine brummende Wirtschaftsmetropole. Großkonzerne wie Coca Cola, der Telefon- und Internetriese AT&T und UPS haben hier ihren Sitz. Die Stadt ist etwa zur Hälfte schwarz, auch die Business-Elite.
Erfolgreiche konservative Schwarze wie Bell setzen auf den Markt, um die Situation der Schwarzen zu verbessern. Nicht Sozialprogramme, sondern Unabhängigkeit durch Jobs soll helfen. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Gruppe ist vielleicht Ben Carson, ein Chirurg, der selbst in den Vorwahlen antrat und jetzt Trump unterstützt. Ja, Trump werde nicht noch mehr Welfare schaffen, sagte er kürzlich in einem Interview mit NPR. „Aber er ist offen für alles, was Leute wirklich aus Abhängigkeitsverhältnisses herausbringt und sie auf die Erfolgsleiter setzt.“
„Sklave, wer wird dich befreien? Keiner oder alle, alles oder nichts.“ Vor einigen Tagen, in Oakland, skandierten schwarze Ex-Gefängnisinsassen und Aktivsten Brechts Revolutionsgedicht „Keiner oder alle“. Bells Antwort auf diese Frage ist: Keiner – es sei denn, du selbst befreist dich.
Nachdem ich etwa 40 Minuten lang mit Ashley Bell gesprochen habe, klopft eine junge Frau an die Tür und sagt, er werde gebraucht. Es ist mein Zeichen, zu gehen. Zwischen den grauen Bürowürfeln vor dem Konferenzraum steht jetzt Rience Priebus, der Vorsitzende des Nationalkomitees der Republikaner und gibt ein Interview. Bell duckt sich, um nicht durchs Bild zu laufen.
Beitragsbild: Paul Holston, AP